Mit der Frage „Was kann Philosophie?“ wird nach einem Können gefragt. Die Rede von einem solchen aber ist notorisch mehrdeutig. Sie kann zum einen auf eine Fähigkeit oder ein Potential abzielen, die jemand oder etwas besitzt – beispielsweise: Jemand kann fahrradfahren. Jemand kann eine Fremdsprache sprechen. Ein Stoff kann in Wasser aufgelöst werden (ist wasserlöslich).
Zum anderen können die äußeren Umstände und Bedingungen angesprochen sein, von denen die Möglichkeit der Ausübung einer Fähigkeit bzw. der Realisierung eines Potentials abhängt. Zum Ausdruck gebracht wird dann, dass etwas der Fall sein kann, oder dass es möglich ist, dass etwas geschieht. Beispielsweise: Es kann morgen regnen (es ist möglich, dass es morgen regnet). Auf diesem Grund kann ein Gebäude errichtet werden (es ist möglich, auf diesem Grund ein Gebäude zu errichten). Dieser Stoff kann in jener Flüssigkeit aufgelöst werden (es ist möglich, diesen Stoff in jener Flüssigkeit aufzulösen).
Analoges gilt für die Rede von einem Nichtkönnen. Diese kann zum einen das Nichtvorliegen einer Fähigkeit oder Potentials meinen: Wer nicht weiß, wie man fahrradfährt, es also nicht kann (nicht beherrscht), der wird es eben auch dann nicht tun können, wenn er auf einem Fahrrad sitzt.
Zum anderen kann das Nichterfülltsein von äußeren Bedingungen der Ausübung einer Fähigkeit gemeint sein, oder auch das Bestehen von Hindernissen: Wer das Radfahren zwar gelernt hat, es also beherrscht, der kann es trotzdem nicht tun, wenn er kein Fahrrad zur Hand hat, sein Fahrrad angekettet ist oder einen Platten hat. Es ist ihm dann nicht möglich, seine Fähigkeit auszüben. Und wo kein Wasser vorhanden ist, kann ein Stück Zucker, obwohl es wasserlöslich ist, auch nicht aufgelöst werden.
Mit der Frage „Was kann Philosophie (nicht)?“ wird nach dem Können oder Nichtkönnen der Philosophie gefragt. Gehen wir somit über zu einer Bestimmung dessen, was Philosophie ist, allerdings einer zunächst eher formalen, nicht so sehr inhaltlichen: Worin immer die Philosophie oder das Philosophieren auch bestehen mögen, sie sind jedenfalls, so eine verbreitete Meinung, zweckfrei.
Dass die Philosophie sich durch Zweckfreiheit auszeichnet, darf allerdings nicht missverstanden werden im Sinne einer Abwesenheit von jeglichen Zwecken. Denn philosophiert wird nicht ohne Grund, Anlass und Ziel. Doch das Philosophieren steht nicht unter äußeren, fremden Zwecken. Die Philosophie hat durchaus Zwecke, die jedoch nur aus ihr selbst entspringen: sie ist selbstzweckhaft. Das meint, dass das Worum-willen des Philosophierens nur aus dem heraus zu begreifen ist, was das Philosophieren selbst ist und worin es besteht.
Wir kommen damit zu einer inhaltlichen Bestimmung von Philosophie: Bekanntlich besagt ihr altgriechischer Name φιλοσοφία, dass sie das Streben nach Wissen ist, und zwar nach Wissen in seiner höchsten und sichersten Form (altgr. σοφία: Weisheit) (vgl. Aristoteles: Metaphysik, 980a ff.). Hiermit sind dann auch Anlass und Zweck des Philosophierens bestimmt: Wer philosophiert, der weiß um die Begrenztheit seines Wissens oder um sein Nichtwissen und er strebt danach, dieses durch ein sicheres Wissen zu ersetzen.
Das gesuchte Wissen ist also nicht (bestenfalls: noch nicht) besessen, wie die Philosophen seit jeher mit jener bekannten paradoxen Formel zum Ausdruck bringen: Ich weiß, dass ich nichts weiß – womit eben auch ein Nichtkönnen der Philosophie zum Ausdruck gebracht ist: Der Philosoph kann kein Wissen lehren, denn er strebt selbst erst nach solchem. Die Philosophie kann keinen lehrbaren und dann wie auch immer anwendbaren Wissensbestand vorweisen. Denn sie ist nichts anderes als die denkende Bemühung um Einsicht, Erkenntnis und Wissen.
Das denkende Wissensstreben wird allerdings erst dann zu Philosophie, wenn es reflexiv und kritisch wird: Es ist dann ein Denken, das sich seiner eigenen Einseitigkeiten, Bedingtheiten und Perspektivität bewusst ist. Ein solches Denken wird seine prinzipielle Schwäche und Fehleranfälligkeit durch Selbstkritik und methodisches Vorgehen zu kompensieren suchen. Und aus diesem selbstkritischen Wesen des Philosophierens ergibt sich dann auch ein fremdkritisches Potential der Philosophie.
Immer wieder wird, so zumindest die Erfahrung des Autors dieses Beitrags, an die Philosophie dieForderung herangetragen, dieses Potential zum Nutzen der Gesellschaft einzubringen – etwa indem sie den herrschenden Zeitgeist bestätigen oder aber diesen kritisieren, oder gar der Gesellschaft normative Vorstellungen (Leitwerte, Ideale und Utopien) bereitstellen möge. Nicht selten wird dann vermeint, aus der Philosophie ließen sich bequemerweise gerade die eigenen weltanschaulichen und moralischen Überzeugungen herleiten und rechtfertigen.
Nun kann, wie gesagt, in Kritik, Orientierung und vielleicht gar Verbesserung der Gesellschaft nicht die Aufgabe oder der Zweck der Philosophie liegen, wohl aber immerhin ein Potential, ein Können der Philosophie, das sie vielleicht aus freien Stücken realisieren mag. In der Tat haben auch nicht wenige Philosophen der Philosophie diese Rolle zugesprochen. Das 18. Jahrhundert sprach hier von Aufklärung. Damit aber Philosophie dergleichen leisten könnte, müssten auch die gesellschaftlichen Bedingungen günstig sein – und dies scheint nur selten der Fall zu sein.
Doch auch für den glücklichen Fall, dass die Philosophie ihr gesellschaftskritisches Potential betätigen kann, ist dies nicht ohne Gefahr, wie schon früh begriffen wurde. Bereits Platon führt in seinem berühmten Höhlengleichnis in seinem Werk Der Staat aus, dass dem Philosophen, der seine Mitmenschen belehren will, nicht mit Wohlwollen begegnet wird (vgl. Platon: Der Staat, 517a.). Und auch für jene, die sich an die Philosophie wenden, kann das Ergebnis leicht ein anderes sein, als erhofft.
Denn die Skepsis und Kritik der Philosophie verunsichert, sie wirkt zunächst negativ, hemmend und zersetzend. Es sind die Selbstverständlichkeiten und bequemen Gewissheiten, die im Philosophieren kritisch geprüft und häufig genug auch aufgelöst und zurückgewiesen werden. Der Zeitgeist ist nicht die Wahrheit und, woran in einem Zeitalter der Massendemokratie immer wieder zu erinnern ist: Wahrheit ist nicht Mehrheitsmeinung und Mehrheitsmeinung nicht Wahrheit.
Und doch ist die philosophische Kritik am Ende eine positive Leistung. Denn falsche Vorstellungen, Irrglauben und schlechte Ideologie abzuschütteln, ist eine Befreiung und ein Fortschritt. Allerdings kann die Philosophie solchen kritischen Fortschritt und eine Weiterentwicklung im Denken und Handeln nicht einfach dekretieren oder forcieren. Sie kann allenfalls zur Verbreitung und Steigerung eines solchen kritischen Geistes beitragen. Eben dies steht aber unter äußeren Bedingungen, von denen abhängt, ob die Philosophie ihr Potential verwirklichen kann. Denn es kommt ja, wie gesagt, nicht nur auf die Fähigkeiten als solche an, sondern auch auf die äußeren – in diesem Falle: gesellschaftlichen – Bedingungen, diese Fähigkeit auch sinnvoll betätigen und ausüben zu können. Es gibt philosophische Zeitalter wie das 18. Jahrhundert und solche wie das unsrige, die dies sicherlich nicht sind.
Die sich hieran anschließenden Fragen liegen auf der Hand: Was sind das für Bedingungen? Was unterscheidet ein philosophisches Zeitalter von einem nichtphilosophischen (mithin geistlosen oder gar geistfeindlichen)? Und was ließe sich tun, um die Situation zu verbessern? Solch großen Fragen kann in diesem Rahmen freilich nicht weiter nachgegangen werden. Es sei daher zum Abschluss nur soviel angedeutet: Wir sprechen hier von Bedingungen dafür, dass Individuen mit einer kritischen Haltung im Denken und einem Interesse an Bildung und Aufklärung mehr als nur eine Ausnahme sind. Es geht hierbei um Überlegungen, wie sie auch der große Aufklärungs-Philosoph Immanuel Kant in seiner Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? anstellt (Kant 1999).
Die Voraussetzungen für solche, wie Kant es nannte: mündige Individuen sind aber vor allem durch Bildungsinstitutionen und seit einiger Zeit auch durch die Massenmedien zu schaffen – und, wie gegenwärtig zu beobachten ist: Sie sind ebenso leicht verhindert und zerstört, wenn die Institutionen und Medien ihre Zwecke vergessen, wenn sie verfallen oder ideologisch gekapert werden.
Es fällt also wesentlich in die Zuständigkeit von Politik, Bildungsinstitutionen und Medien, dazu beizutragen, dass ein philosophischer Geist wieder einen breiteren gesellschaftlichen Nährboden findet. Für die ihr günstigen Umstände und Bedingungen kann die Philosophie nun einmal nicht wiederum selbst sorgen, und so bleibt den Philosophen vorläufig nichts anderes übrig, als auf ein für die Philosophie empfänglicheres Zeitalter zu warten – und sich bis dahin den eigentlichen Zwecken der Philosophie zu widmen: dem individuellen Erkenntnisstreben und dem freien Austausch mit Gleichgesinnten. Denn mehr braucht es zur Philosophie nicht.
Literatur:
Aristoteles: Metaphysik, Reinbek: Rowohlt 1994.
Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, Hamburg: Meiner 1999.
Platon: Der Staat, Hamburg: Meiner 1961.