Was ist Philosophie?

Philosophie ist nicht Wissenschaft: Sie enthält Wissenschaft, sie ist auch Wissenschaft, sie ist jedoch nicht nur und nicht vorrangig Wissenschaft. Wäre Philosophie lediglich eine Wissenschaft neben anderen Wissenschaften, so würde sie doch alleine schon durch ihren Namen hervorstechen: Während alle anderen Wissenschaften ihren Gegenstand oder das Gebiet ihrer Untersuchung im Namen tragen, tut die Philosophie das nicht: von σοφία, der Weisheit, ein theoretisches Wissen zu gewinnen, ist nicht die Hauptaufgabe der Philosophie. Nicht deshalb heißt sie „Philosophie“.

Die Philosophie, das heißt der Philosoph, verhält sich zur Weisheit anders als nur im Sinne einer theoretisch-wissenschaftlichen Beschäftigung: Der Philosoph will nicht nur theoretisch erkennen, was Weisheit ist, vielmehr strebt er sie an, wie der erste Wortteil jener Bezeichnungen zum Ausdruck bringt. Der Name der Philosophie hat somit die Besonderheit, dass er nicht so sehr etwas über ihr Objekt aussagt, als vielmehr über ihr Subjekt, den Philosophen: Der Philosoph ist derjenige, der nach Weisheit strebt, der danach strebt, weise zu werden oder zu sein. 

Was heißt: Nach Weisheit streben?, oder mit anderen Worten: Was heißt Philosophieren? Es sollte hier ja nicht behauptet sein, dass es dem Philosophen nicht auch um ein Wisen geht. Immerhin muss, wer nach Weisheit strebt, irgendein Wissen davon haben, was Weisheit ist und wie man sie erlangt. Allerdings sucht der Philosoph auch ein Wissen hinsichtlich anderer Dinge, denn – soviel weiß eben auch schon der Nichtweise über die Weisheit – weise zu sein, heißt ein Wissen über bestimmte Dinge zu haben und auf bestimmte Fragen zu antworten wissen. Wer nach Weisheit strebt, strebt auch nach einem Wissen. 

Was für ein Wissen? Es genügt, hier den Begriff der Metaphysik in den Raum zu stellen: Der Philosoph strebt nach einer Einsicht in die der scheinbaren Realität zugrundeliegende eigentliche Wirklichkeit: Metaphysik ist Ontologie(-Theologie) und Bewusstseinsphilosophie (Egologie). Dabei ist gleichgültig, ob der Philosoph, aus einem rein theoretisch-metaphysischen Erkenntnistrieb heraus nach metaphysischer Einsicht strebt, oder weil er ein praktisches Interesse hat und nach der richtigen Lebensform sucht (Ethik): In beiden Fällen wird ein zugrundeliegendes Prinzipielles gesucht, in beiden Fällen wird metaphysisch gefragt. 

Zu philosophieren heißt also auch, nach einem Wissen zu streben und deshalb liegt auch der Gedanke von der Philosophie als einer Wissenschaft nahe. Dass Weisheit aber lediglich im Besitz irgendeines, sei es auch noch so tiefen Wissens besteht, ist zu bezweifeln, und deshalb ist die Philosophie auch mehr und anderes als nur Wissenschaft. Dieses Mehr besteht darin, dass der Weise nicht nur ein besonderes Wissen besitzt, sondern dass er auch ein richtiges Leben führt. Hier besteht ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis, der ein Alleinstellungsmerkmal der Weisheit und daher auch der Philosophie ist: Ihr Wissen wirkt sich unmittelbar (wenn auch nicht instantan) auf die Lebensform oder Existenzweise des Wissenden aus. Diese Wirkung ist jenem Wissen selbst inhärent und nicht davon zu trennen: Es ist ein solches Wissen, das gar nicht besessen sein kann, ohne zugleich wirksam zu sein. Würde es nur theoretisch gewusst, so wäre es noch gar nicht vollumfänglich in Besitz, sondern allenfalls eine schattenhafte Abstraktion davon. 

Nicht nur hinsichtlich dessen, wovon ihr Wissen handelt, unterscheidet sich die Philosophie wesentlich von allen anderen Wissenschaften, sondern durch die Qualität ihres Wissens selbst: Ihr Wissen ist mehr als bloß theoretische Kenntnis, mehr als bloße Beschreibung oder Information. Das Wissen jeder anderen Wissenschaft kann gewusst werden, ohne angewandt zu werden – das der Philosophie hingegen ist damit noch gar nicht gewusst. Dies ist das Gegenstück zu der Tatsache, dass Ethik Metaphysik voraussetzt: metaphysische Einsicht hat eine lebensformbestimmende Wirkung. Philosophie ist wesentliche Einheit von Theorie und Praxis.

Es gibt ein Wissen, das nur erreicht wird durch ein Sich-Anpassen an das zu Begreifende, ein Sich-darauf-hin-Entwickeln, ein Sich-Hinaufarbeiten. Dies ist das Streben des Philosophen (das, sofern es um ein Wissen geht, als fragendes Streben erscheint). Philosophie ist Lebensform, nicht Beruf. 

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